Das Rosen-Innere
Wo ist zu diesem Innen ein Außen? Auf welches Weh legt man solches Linnen?
Welche Himmel spiegeln sich drinnen in dem Binnensee dieser offenen Rosen, dieser sorglosen, sieh: wie sie lose im Losen liegen, als könnte nie eine zitternde Hand sie verschütten.
Sie können sich selber kaum halten; viele ließen sich überfüllen und fließen über von Innenraum in die Tage, die immer voller und voller sich schließen, bis der ganze Sommer ein Zimmer wird, ein Zimmer in einem Traum.
Rainer Maria Rilke, 1907, Paris
– nach Donna Farhi*!
Die sieben Bewegungsprinzipien erkunden wir, indem wir die kleinsten „Bausteine“ einer Yogabewegung (Asana) erforschen! Wir filetieren die Yoga-Bewegung in immer feinere Wahrnehmungen. So können wir eine Drehposition als einfaches Hochschrauben des Scheitels zur Decke erfahren. Oder wir lassen die Drehung aus der Energie der inneren Organe entstehen, z. B. aus der Leber. Selbst wenn man noch kein Gespür für die Leber im Inneren des Körpers hat, ist die Erfahrung der Drehung aus der Leber-Energie heraus eine ganz neue: Die Drehung fühlt sich viel vollständiger, einfacher und wirksamer an und schenkt ein tiefes Gefühl von Zufriedenheit. So erforschen wir die „inneren Bewegungen“ des Körpers anhand von sieben Bewegungsprinzipien, wie sie Donna Farhi sehr anschaulich entwickelt hat. Wenn wir so tief in die eigene Körpererfahrung eintauchen, kommen die Parallelen zu unseren „geistigen Bewegungen“ von selbst zum Vorschein.
Innere und äußere Bewegungen
Jede Asana – (Yogapose) hat seine inneren und äußeren Bewegungen. Als äußeren Bewegungen verstehe ich das Auf- und Abbauen einer Asana. Die inneren Bewegungen werden wahrnehmbar, sobald wir uns in der Asana einfinden, sie einen Moment halten oder verfeinern: Zu diesen inneren Bewegungen gehören z.B. der Atem, die Aufrichtung, das aktive „sich Erden“, Stabilität, Gleichgewicht und Durchlässigkeit finden usw. So kann eine Asana die Erfahrung unterschiedlicher „innerer Bewegungen“ bzw. Bewegungsprinzipien werden, die unsere Fähigkeit erhöhen, nach innen zu spüren.
Feinere Körperwahrnehmung und bessere Körperbeherrschung
Je mehr wir uns auf diese „Körpererfahrung“ einlassen, desto tiefer gleiten wir in eine neue Erfahrungsebene – eine geistige Ebene. Gleichzeitig trainieren wir unser Gehirn, bahnen neue neuronale Netzwerke an, die uns in vielen anderen alltäglichen Situationen nützlich sein können und produzieren Botenstoffe, die Stress abbauen und unsere Fähigkeit zur Impulskontrolle erhöhen.
Die praktische Umsetzung
Bereits mit dem regelmäßigen Üben von Yoga, verbunden mit dem aktiven Fühlen, Spüren und dem Nachspüren der „inneren Bewegungen“, erhöht sich die Wahrnehmungsfähigkeit innerer Zustände, der „Interozeption“. Gleichzeitig trainieren wir unsere Fähigkeit, unwillkürliche Impulse und psychische Reaktionen besser zu beherrschen. Natürlich nimmt dadurch die Körperbeherrschung deutlich zu, Muskeln werden viel ökonomischer trainiert, die Bewegungen des Körpers werden dynamischer und eleganter.
Geistige Bewegungen
Es war das Ziel der „alten Yogis“, den Geist zu beruhigen und frei zu werden, frei von den üblichen kreisenden Gedanken, von Reaktionsmustern und von überkommenen Überzeugungen. Hier, während wir eine Asana üben, kommen viele dieser „geistigen Muster“ bereits zum Ausdruck. Sie zeigen sich ausgelöst durch Impulse aus dem Körper. Je feiner wir unserem Körper zuhören, zuschauen und ihn wahrnehmen, desto feiner wird unsere Wahrnehmung für das, was da gerade hochkommt. Umso besser können wir in Zukunft auf solche Impulse reagieren.
Die besondere Yogaerfahrung
So wird Yoga zu einem ganzheitlichen Erlebnis (Körper und Geist) – statt zu einer Gymnastikübung (nur Körper). Wir berühren wir ganz von selbst andere Ebenen unseres Seins und spüren, dass wir mehr sind als unser Körper. Wir erleben, dass wir sich selbst beobachtende bewusste Wesen sind. Als diese bewussten Wesen können wir sehr viel mehr an unseren inneren Zuständen ändern, als wir gemeinhin denken. Wir können also sehr viel mehr Einfluss auf unser Leben zu nehmen, als wir uns häufig zugestehen.
Yoga ist Meditation
Yoga – intensiv geübt – schenkt uns außerdem fast nebenbei die Erfahrung, was es bedeutet zu meditieren, nämlich den Geist zu beruhigen und ganz in der Gegenwart zu verweilen. Yoga schenkt uns diese wunderbaren Momente von totalem Einssein von Körper, Atem und Gedanken und das Frei sein von den immerwährenden Konditionierungen und Gedanken. Yoga befreit!
Die sieben Bewegungsprinzipien sind im Einzelnen:
- Atem: Der Atem fließt von selbst. Du wirst geatmet! Dein Atem bewegt dich! Der Atem erhebt sich aus der Stille, dehnt sich aus, verdichtet sich und kehrt zurück zur Stille.
→ Geistiges Prinzip: Alles beruht auf Schwingung. Mitschwingen mit der Atmung bedeutet, Mitschwingen mit dem Leben, ohne festzuhalten oder zu zwanghaft steuern zu wollen.
- „Yield to the ground“ oder dt.: „Überlasse dich der Erde“ – Schwere & Leichtigkeit
→ Geistiges Prinzip: Hingabe und Vertrauen – In der Hingabe an die Erde, die uns trägt, erfahren wir die Schwere unseres Körpers und die Sicherheit einer guten Basis. Geben wir unsere Kontrolle ab, schwingt bald ein Gefühl der Leichtigkeit wie ein Auftrieb zurück.
- Zentrale Achse: Finde Stabilität in der Wirbelsäule, das ist die Basis für Kraft, Aufrichtung und Gleichgewicht!
→ Geistiges Prinzip: Ruhig, klar und stabil – die Grundlagen für jede Entscheidung, für jede Entwicklung und für Veränderung und Wachstum.
- Ausstrahlung: Strahle aus der Mitte in die Peripherie aus und hohle die Energie zurück in die Mitte
→ Geistiges Prinzip: Geben und Nehmen! Es ist das Geben und das Nehmen, das uns nährt und zur eigenen Mitte zurück führt. Wenn wir uns verströmen, ohne uns zu verlieren, fließt alles wieder zu uns zurück, macht uns reich und füllt uns aus.
- Halt, Stütze, Unterstützung: Nur aus einer stabilen Basis kann der Körper auch die entfernteren Bereiche des Körpers sicher balancieren.
→ Geistiges Prinzip: Wir benötigen immer ein sicheres Fundament, um weiter zu gehen! Je besser wir uns um unsere Wurzeln kümmern, umso freier werden wir sein, wenn wir zum Himmel streben.
- „Alignment“ – In Beziehung gehen! Du stehst grundsätzlich zwischen zwei Polen, Himmel und Erde. Erzeuge eine möglichst fließende Energielinie zwischen den zwei voneinander weg strebenden Körperteilen: z.B. Füße und Scheitelpunkt, oder Schulter und Hand/Fingerspitzen usw.
→ Geistiges Prinzip: Verschmelze mit dem Raum um dich. Finde die Beziehung zwischen dir und deiner Umgebung, zwischen Erde, Himmel und dem Raum um dich herum! Gebe dir das Einverständnis mit der Umgebung zu fließen und dadurch Energie zu aktivieren.
- Erschaffe Einheit durch visualisieren, fühlen und spüren: Der Körper funktioniert nur durch die Kooperation unterschiedlicher Systeme miteinander: z.B. dem „Neuro-Endokrinen System/Körper“, dem „Organ Körper“, dem „cellularen Körper“, dem „muskuloskelettalen Körper“ oder dem „Nervensystem Körper“. Alles arbeitet miteinander und füreinander. Alles ist gleich wichtig!
→ Geistiges Prinzip: Widerstand ist zwecklos. Wir sollten nichts ausschließen und mit unseren Vorlieben bewusst umgehen. In jedem Moment bereit sein und annehmen, was sich gerade zeigt. Auf diesem Weg finden wir zu Balance, Harmonie und innerer Freiheit.
*nach Donna Farhi „Yoga Mind, Body & Spirit – A Return to Wholeness“ New York 2000.